Der Angriffskrieg Russlands hat massive wirtschaftliche Konsequenzen. Auch die IT-Branche leidet, wenn auch noch nicht so offensichtlich. Ein längerer Krieg könnte allerdings zu einer massiven Verschiebung der weltweiten Kompetenzen führen und von der IT-Branche aus auch auf andere Branchen übergreifen. Schon jetzt sind die Konsequenzen langsam auf verschiedenen Ebenen spürbar.
Braindrain und Kompetenzverlust – Der Niedergang der russischen IT-Branche
Die russische IT-Branche war einst das Vorzeigekind des Kreml. Doch aufgrund der Sanktionen des Westens kommt es hier zu massiven Einbrüchen. So gut wie alle für die IT-Branche relevanten Hersteller und Unternehmen kommen aus dem Westen. Dazu gehören Chip-Hersteller, aber auch andere Unternehmen wie SAP. Zwar konnte Russland innerhalb der letzten zehn Jahre hochwertige Kompetenzen und Produktionsketten aufbauen, aber ohne das Know-how und ohne die Investitionen des Westens wäre das nie möglich gewesen. Die massiven Sanktionen sorgen zudem dafür, dass Fachkräfte sich gezielt vom Regime abwenden und ihr Glück lieber woanders suchen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die russische IT-Wirtschaft schon jetzt im Niedergang begriffen wird. Langfristig wird es zwar gelingen, verschiedene Bereiche zu retten. Aber das dürfte ein Unterfangen werden, welchem sich der Kreml mit der höchsten Anspruchshaltung stellen müsste. Ob das gelingt ist fraglich, denn es gibt viele Faktoren, die Investitionen für ausländische Unternehmen uninteressant machen. Firmen aus China, Indien und anderen Staaten könnten zwar investieren, bringen aber im Endeffekt nicht den Mehrwert des Westens. Darüber hinaus ist die russische Wirtschaft sehr korrupt. Auch Investoren aus russlandfreundlichen Staaten werden deswegen zweimal überlegen, ob das Geld in Russland wirklich sinnvoll angelegt ist.
Die Boombranche der Ukraine war die IT
Die Ukraine setzte verstärkt auf die IT-Branche und hat hier massive Entwicklungsschritte durchführen können. Schon heute gilt der IT-Sektor in vielen Bereichen deutlich fortschrittlicher, als beispielsweise der deutsche IT-Sektor. Der Krieg hat die Branche allerdings komplett zusammenbrechen lassen. Zwar funktionieren viele der alltäglichen Dienstleistungen noch, aber es ist nur eine Frage der Zeit bis diese auch zerstört werden. Viele Fachkräfte sind an der Front, sterben dort oder mussten das Land verlassen. Im Ausland werden ukrainische Fachkräfte gerne gesehen und bekommen attraktive Angebote. Das ist ärgerlich, aber auch ein normaler Mechanismus des Marktes im Kriegsfall. Jeder weiterer Tag des Krieges sorgt dafür, dass die IT-Infrastruktur der Ukraine weiter zerstört wird und verursacht massive Verluste bei Kompetenz. Das erste Problem nach dem Krieg wird nicht der Wiederaufbau, sondern die Wiedererlangung von Human Resources sein.
Die Lage im Westen: Nicht rosig, aber besser
Auf der einen Seite profitiert der Westen enorm vom russischen Angriffskrieg. Die ukrainischen und russischen Fachkräfte sind sehr begehrt und bringen wichtiges Wissen in die vorhandenen Branchen mit ein. Dazu kommt, dass der Westen ausschließlich die wichtigen Produktionsmethoden und Produktionsverfahren in der Hand hält. Diese sind für eine funktionierende IT-Branche zwingend notwendig. Denn was bringt die schönste Idee für das Internet, wenn die passende Hardware völlig fehlt? Das verursacht den Zustand, dass Russland als Abnehmer für IT-Technologie mittlerweile vollständig ausgefallen ist. Die hier eingesparten Ressourcen können nun zwar im Westen sinnvoll eingesetzt werden, können aber aufgrund der weiterhin unterbrochenen Lieferketten wegen Corona nicht effektiv gebaut werden. Das setzt den Westen unter Zugzwang und verursacht derzeit einen massiven Chip-Mangel, der sich noch über ein paar Jahre hinweg auswirken wird. Der Aufbau von eigenen Produktionsstätten für Chips innerhalb der EU, sowie der Aufbau von neuen Lieferketten können nur langfristig für Entlastungen sorgen und sind keine kurzfristige Lösung. Insgesamt gesehen geht es der IT-Branche allerdings gut, zumindest wenn man die russischen und die ukrainischen IT-Branchen als Vergleich heranzieht.
Der Angriffskrieg findet auch weltweit und im Internet statt
Ein weiteres Problem des russischen Angriffskrieges ist, dass weltweit IT-Sicherheitsstrukturen bedroht sind. Russland fährt schon seit Jahren eine massive Cyberkampagne und hat diese im Zuge des Angriffskrieges auf die Ukraine noch einmal verstärkt. Man muss davon ausgehen, dass die steigende Zahl von Netzausfällen und die Beeinträchtigungen öffentlicher Infrastrukturen im Westen auf russische Angriffe zurückzuführen ist. Das Problem ist, dass der Westen hier nur wenig bis gar nicht reagieren kann. Denn selbst wenn der Nachweis der russischen Urheberschaft gelingt: Wer will wegen eines Cyberangriffs schon einen Atomkrieg beginnen? Umgekehrt sind westliche Hacker schon längst auf Russland eingestellt und versuchen sich hier im gegensätzlichen Modell. Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass im Internet der Krieg in der Ukraine schon längst zu einem Weltkrieg mutiert ist. Die Gefahren für die Weltwirtschaft sind enorm und werden vielfach unterschätzt. Ein gut durchgeführter Hack, der relevante und kritische Infrastrukturen richtig trifft, kann massive Probleme auslösen und hat das Potenzial zur Störung der Weltwirtschaft.
Fazit: Ein Kriegsende ist zwar nicht in Sicht, wäre aber wünschenswert
Krieg ist nie erwünscht und ein Ende wäre eine schöne Sache. Das gilt natürlich auch für den Krieg in der Ukraine. Allerdings ist ein Ende hier noch lange nicht in Sicht, so traurig das auch ist. Dabei schneidet sich Russland derzeit massiv in das eigene Fleisch und schwächt seine wirtschaftliche Schlagkraft über Jahrzehnte hinweg. Die IT-Branche hätte in Russland eine der Zukunftsbranchen sein können, aber nach dem derzeitigen Stand sieht es eher so aus, als müsste man in Russland in der Zukunft wieder zum Faxgerät greifen. Vermutlich wird es der russischen Führung langfristig gelingen, mit Ersatzprodukten die Produktivität der Branche wieder anzukurbeln. Dennoch ist es dann vermutlich wie im Zeitalter des Kalten Krieges: Russland setzt auf eigene Kompetenz und hängt dabei der freien westlichen Wirtschaft um Längen hinterher. Gleichzeitig muss das Regime darauf achten, dass nicht zu viele der hoch qualifizierten und engagierten Fachkräfte auswandern. Dieser Braindrain kann gerade in der IT-Branche die Entwicklung massiv stören, wenn nicht sogar verhindern.
Der Westen ist dabei immer der Gewinner, was auch an einem wichtigen Faktor liegt: Die gesamte Technik der Chipproduktion ist im Westen entwickelt worden und im Westen konzentriert. Zwar werden Zwischenschritte in der Produktion auch in anderen Ländern durchgeführt, aber in der Entwicklung und der Einführung der notwendigen Technologien ist der Westen führend. Für die russische IT-Branche sind das keine guten Aussichten, wohingegen die ukrainische IT-Branche in den nächsten Jahren wieder aufgebaut werden dürfte. Das derzeit für den Westen dringlichste Problem ist die Abwehr von Cyberangriffen. Denn nur so können kritische Infrastrukturen effektiv geschützt werden.